Mithören und Mitleiden: NSA ist nicht zu beneiden

Mithören und Mitleiden: NSA ist nicht zu beneiden

merkelhandy2_v-anderthalbspaltigNein, Angst vor den Amerikanern hat dieser Smartphonebesitzer garantiert nicht. Das ganze U-Bahnabteil darf mithören, wie er sich mit Udo die volle Kante gegeben hat, warum sein Studium niemals vor Mittag anfängt und dass er nebenbei alte Damen im Wellness Spa Studio bedient. Wobei „dürfen“ an dieser Stelle ein Euphemismus ist: Wir alle, vom Zufall ausgesucht und in dieses Abteil gespült, MÜSSEN mit anhören, was der junge Student zu sagen hat, weil er anschreit gegen die knarzigen Bahnansagen, quietschenden Räder und wenigen Mitreisenden, die eine Unterhaltung wagen.

Spätestens nach der dritten Station bin ich es, die bedient ist. Könnte man nicht zumindest in öffentlichen Verkehrsmitteln die AllNetFlat sperren, überlege ich, zumal während des Fahrens und durch die Metallhülle, die Strahlenbelastung fünfmal so hoch sein soll wie bei einer stationären Benutzung. Fieberhaft fahnde ich nach einem Weg aus der Mithöranlage: Wie bringt man einen so selbstverliebten Kerl zum Schweigen? Am einfachsten wäre es natürlich, das Abteil zu wechseln. Aber das ist eine Lösung für Weicheier: Warum soll ich weichen, wenn ich hier ziemlich leise und ein wenig gestrig in der Zeitung blättere. Sprüche wie „geht es auch eine Nummer kleiner“ verbieten sich von selbst. Ich würde mich nur als alt outen und bestenfalls ein freundliches Grinsen ernten. Bleibt nur der Gegenangriff.

Seit einem halben Jahr habe ich auch so ein nervtötendes Smartphone griffbereit, aber meist ziemlich leise in meiner Tasche dabei. Das zücke ich, setze mich zu dem jungen Mann und rufe Ingrid an. Nur in Gedanken, aber das spielt hier keine Rolle. Ingrid ist schwerhörig und ich habe noch ziemlich gut im Ohr, was ich bei unserem letzten Gespräch in den Hörer gebrüllt habe. „Hast du dein Hörgerät nicht parat?“ Und: „Hast du von Gudrun etwas gehört?“ Dann: „Und was hat der Arzt gesagt?“ Das wirkt Wunder. Wenn junge Leute etwas nicht abkönnen, dann sind es diese „Alte-Leute-Themen“. Er erhebt sich samt Phone und Kommunikationspartner und nähert sich der Tür. „Danke, dir auch, mach es gut“, schiebe ich der vermeintlichen Ingrid noch hinterher. Aber das dürfte er nicht mehr mitbekommen haben. Wir sind in Ohlsdorf angekommen. Es ist unglaublich friedlich im Abteil.

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